Mein Schnee aus Kanonen

Auf dem Horneggli waren die Nächte bisher immer erholsam still. In dieser Altjahreswoche nicht mehr: Neben unserer Alphütte stehen fest installierte Schneekanonen in Reih und Glied, welche die ganze Nacht über dröhnen. Sie verpulvern hochgepumtes Wasser und Billigstrom aus Frankreich.  Am Morgen liegen da überraschend kleine Haufen des ersehnten grossen Schnees, der die Kassen des Skigebiets zum Klingen bringen sollte.

Ungezählte Hektoliter Wasser werden in einer Wintersaison verbraucht, um die Pisten des Skigebietes «Gstaad Mountain Rides» künstlich zu beschneien. Hierfür wurden in den letzten Jahren baumstammdicke und kilometerlange Rohre im Boden und quer durch die Alplandschaft verlegt, durch die das Wasser aus der Saane von unter 1000 Meter in ein grosses Speicherbecken auf knapp 2000 Meter über Meer hochgepumpt wird.

Ja, Skifahren ist schön. Darum mache ich ja mit meiner Familie und Freunden auch Ferien dort oben. Aber ginge es nicht etwas nachhaltiger? Statt ein Erholungsraum ist unser Horneggli ein industrieller Erlebnispark geworden, der jederzeit im Vollbetrieb laufen muss, ob’s geschneit hat oder nicht. Wer eine Million Schweizerfranken pro Pisten-Kilometer investiert hat, der sagt den Gästen nie, heute fahren die Lifte nicht. Betriebswirtschaftlich logisch.

Der Tourismus ist paradox: er lebt vom Kapital einer schönen Landschaft und gleichzeitig nagt er an dieser natürlichen Ressource, indem er immer mehr baut und in die Bergwelt eingreift.

Genauso paradox ist wohl mein Verhalten: Ich will meinen ökologischen Fussabdruck klein halten, nutze aber diese neuen touristischen Einrichtungen, indem ich dort (weiterhin) meine Skiferien verbringe. Auch ich profitiere vom Kunstschnee. Der aus diesen Kanonen kommt, welche die ganze Nacht über dröhnen. Und die letzten Schneehasen verjagen, die es am Horneggli noch hat.

Im Gurnigelgebiet, wo ich Mitte der siebziger Jahre Skifahren gelernt habe, gibt es sie noch: Pisten ohne Schneekanonen. Doch sie sind auch öfters ohne Schnee. Also im Tiefland Ferien machen? Nein, ich bleibe meinem Horneggli treu – trotz Allem. Ich hoffe einfach auf einen nachhaltigeren Schneesport (in Zukunft) und fahre seit Jahren ausschliesslich mit dem Zug zum Skifahren nach Schönried. Immerhin.

Jürgen Schulz